Altglienicke
im Südosten Berlin geht auf eine dörfliche Gemeinde aus dem 14. Jahrhundert zurück und wird durchzogen von einer Hangkante zwischen dem Höhenzug Teltow und dem Berliner Urstromtal. Heute wird das Bild Altglienickes geprägt von seinen Grundstückssiedlungen am Falkenberg und einem Neubaugebiet bei Falkenhöhe. Niemand denkt bei dem Ort Altglienicke in irgendeiner Weise an Wein, liegt es doch noch nördlicher als der Werderaner Wachtelberg, einer der nördlichsten eingetragenen Lagen für Qualitätsweinbau in Deutschland.
Und natürlich geht es in diesem Beitrag tatsächlich auch nicht um die Erzeugung von Wein sondern um den Großhandel mit demselben auch wenn Geschäftsführer Lars Gärtner gern mit einem Augenzwinkern den eigenen im Garten gezogenen Wein anpreist. Ziemlich genau zwischen den beiden Besiedlungen Altglienickes sitzt die Firma Gärtner&Söhne und verwaltet in ihren Kellern Weinbestände, die einen schon vom Ansehen leicht trunken machen. Aufgebaut vom Vater Rainer Gärtner nach der Wende, hat dieser vor ein paar Jahren seinem Sohn Lars die Zügel in die Hand gegeben und könnte nun seine wohlverdiente Pension verzehren, wenn doch, ja wenn doch das Loslassen nicht so schwer fiele…
Alljährlich um diese Jahreszeit feiert die Firma mit Kunden, Mitstreitern und Leuten, die eins von beidem werden wollen, ein zweitägiges Hoffest.
Die Gärtners haben über die Jahre einen kleinen aber feinen Stamm von Weingütern in ihrem Programm, der schon Querschnitt der deutschen Weinerzeugung ist.
Dr. Lindicke und Marcel Schulze von der Saale-Unstrut, Gröhl und Jochem aus Rheinhessen, Lauerman&Weyer und Gustav Decker aus der Pfalz und schließlich Peitz und Lorenz von der Nahe, Letzter in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Fest. Daneben werden natürlich auch ausländischer Erzeuger, wie z.B. Concilio aus Italien vorgestellt und weitere Weine aus Frankreich, Spanien und Italien angeboten. Den krönenden Abschluss weinseliger Abende, die Digestive, werden von den Brennereien Marzadro aus Italien und Höllberg aus Deutschland beworben.
Meine Verkostungen beginne ich fast schon traditionell mit den Erzeugnissen des Weingutes Marcel Schulze aus Döschwitz. Für seine Weine hatte ich schon immer ein besonderes Faible und freue mich, dass er in diesem Jahr persönlich anwesend ist und wir uns für ein paar Minuten abseits des Trubels des Hoffestes unterhalten können. Schulze, gelernter Einzelhandelskaufmann, ist Seiteneinsteiger im Weinanbau. Sein Einstieg begann im Jahre 1999 mit der Wiederbelebung des Weinbaus auf Kloster Posa in Zeitz. Nach mehr als 200 Jahren Anbaupause entschloss er sich, die Weinbautradition auf dem Weingut Schulze wieder aufleben zu lassen. Am Südhang des Klosters setzten er und seine Leute die ersten Rebstöcke der Sorte Dornfelder in den historischen Boden. Was folgte, ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Sein Weingut ist 2015 zum vierten Mal in Folge von der DLG mit dem Bundesehrenpreis ausgezeichnet worden. Er produziert heute auf ca. 11 ha mit 20 Rebsorten 50 verschiedene Weine in einer Größenordnung von 100 000 Flaschen.
Schulze ist kein lauter Mensch, sein Wesen ist Zurückhaltung, Understatement sein Prinzip. Beim zeitgeistig verbreiteten Run auf die mediale Öffentlichkeit bleibt er lieber in den hinteren Rängen. Und dennoch, als er sagt, dass die Preise und Erfolge für seine Weine ihn gelegentlich in die Medien zwingen, huscht doch für einen Moment ein Lächeln über sein Gesicht.
Auf dieses Lächeln hat er auch ein Recht, denn seine Weine der jeweiligen Jahrgänge sind oft schon um die Weihnachtszeit komplett ausverkauft, will man von ihnen etwas abhaben, muss man sprichwörtlich früh aufstehen. Das Erfolgsrezept ist nicht ganz leicht zu erklären. Vielleicht, weil sie als Neueinsteiger nach allem etwas genauer sehen mussten. Da wurde eben eher noch mal probiert, da wurde nochmal überlegt, ob alles richtig ist, was sich vielleicht doch noch ändern lässt. Schließlich, eine gute Flasche Wein ist eine verkaufte Flasche Wein. Ja, da hat er wohl alles richtig gemacht, der Herr Schulze aus Döschwitz in Sachsen.
Sein Flaggschiff in diesem Jahr ist ein 2015er Spätburgunder, weiß gekeltert, vom Kloster Posaer Klosterberg Zeitz, den die Zeitzer Weinprinzessin Lisa Sommerwerk für würdig hielt, ihn mit ihrem Konterfei zu zieren. ………
Mit seinem 2014er Gutedel produziert er eine sehr alte Rebsorte, eine der ältesten Kulturreben, in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert und vermutlich schon vor 5000 Jahren von den alten Ägyptern angebaut, für einen mild-harmonischen Wein als Spezialität der Saale-Unstrut.
Ohne Frage, beim Gutedel muss man nicht lange über Aromen und Abgänge nachdenken, er ist einfach süffig. Lars Gärtner dazu mit einem schelmischen Grinsen: „Was trinkt man früh um zehn, Wasser ist Mist, na gut, nimmste eben Gutedel.“
Von ihm stammt im Übrigen auch die Weisheit: „Woran erkennt man eine gute Flasche Wein? Wenn man noch eine 2. Flasche trinken kann.“
Ein zweites Gespräch führe ich mit Hans-Heinrich Weyer, vom Weingut Lauermann&Weyer. Weyer ist ein fröhlicher, offener Mensch, dem man ohne zu zögern das Prädikat Sympathieträger verpassen kann. So einer wie er, als Verkäufer kann einem auch Dessertwein von seinen Parzellen auf dem Mond verkaufen. Weyer ist ein Brotzeitmensch. Schwarzbrot, Wurstplatte, Käseplatte und Wein natürlich. Aber daran mangelt es ihm ja nicht. Wein, sagt er, hat er so viel, dass er ihn schon verkaufen muss. 60.000 Flaschen pro Jahr werden auf dem Weingut produziert. Sie kommen aus den Lagen Kerzenstümmel, Goldgrube und Mulde.
Es sind Weine, die ehrlich sind, die Spaß machen, genauso will Hans-Heinrich Weyer das. Sorten verfügen über viel Stoffigkeit und intensive Aromen. Für ihr Qualitätslevel sind sie geradezu unverschämt preiswert. Da ist ein 2014er Muskateller feinherb mit üppigem Duft von reifen Früchten und Rosen, da ist ein Lagenriesling Goldgrube trocken 2011 mit einer ausgeprägten Säure, da ist ein Grauburgunder trocken aus 2014, der an Kräuter erinnert.
Am Ende unseres Gespräches holt Weyer noch einen besonderen Schatz aus seiner Truhe. Gelber Muskateller Tresterbrand 40%. Oh Himmel, lass Nacht sein und diese Flasche nie zu Ende gehen. Selten habe ich ein so aromatisches Öl auf meiner Zunge gehabt. Den müsst ihr trinken.
Unbedingt möchte ich noch von meinen Verkostungen zum Thema Rioja berichten. Riojaweine sind unter den Roten aus meiner Sicht sowas, wie das Salz in der Suppe. Mit ihnen kann man einfach nichts falsch machen. Zu Feiern in unserer Familie haben wir als Rotwein immer einen Rioja angeboten. Noch nie habe ich erlebt, dass irgendwer sich kritisch über unser Rotweinangebot geäußert hätte und wir haben –weiß Gott- viele Gäste bewirtet.
Gärtner führt neben anderen Riojaweine aus der Bodegas Muriel /Spanien. Zur Verfügung stehen 4 Sorten, von denen ich drei verkostet habe. Ein Muriel Tempranello Seleccion Rioja DOCa 2014 zum kleinen Preis von ca. 5 EUR, ein Muriel Reserva Rioja DOCa 2011 für knapp 9 EUR und ein 2004er Muriel Gran Reserva Rioja DOCa für ca. 13.50 EUR. Der Gewinner in jeder Hinsicht –auch, was das Preis/Leistungsverhältnis anbelangt – war für mich der 2011er Muriel Reserva Rioja DOCa. Schon die Nase im Glas bekommt alles, was vorstellbar ist, Tabakaromen, fast ein bisschen rauchig, Vanille. Der Wein ist knochentrocken, waldbeerig, ausgestattet mit milden Tanninen und von tiefroter Farbe. Fast ein bisschen dickflüssig. Viel, viel Wein ebenfalls für einen unverschämt günstigen Preis.
Was sonst noch auf dem Gärtnerschen Hoffest passiert hüllt der blogggende Kritiker in den Mantel des Schweigens. Es ist gelegentlich schon spät geworden. Aber stellen Sie sich vor, draußen, bei milder Sommerluft unter Bäumen und eine wahrlich leckeren Tropfen vor sich, da kann man sich schon festsitzen….
Nach dem Weinfest ist vor dem Weinfest.
Bernhard Seipt
Ich z.B. koche gern mit Wein.Gelegentlich gebe ich ihn auch ans Essen.